Samstag, 10. Juli 2010

"Che, querés un mate, boludo??"

Argentinischer könnte ein spanischer Satz nicht sein, würde ihn in Spanien und vielen Teilen Lateinamerikas schließlich kaum einer sofort verstehen... Gleichzeitig enthält er viele Wörter, die eine lange Geschichte haben und von den meisten Argentiniern jüngeren Alters quasi in jeden Satz gestopft werden. Ich werde versuchen, ein wenig Bildungsinternet zu bieten und die Bestandteile ein wenig zu erläutern, aber keine Angst, dies wird keine trockene Spanisch-Lehrstunde- soweit solltet ihr mich mittlerweile kennen. ;-)
  • Che
Ursprünglich ein Terminus aus der Indio-Sprache, wird er in Argentinien quasi für jeden verwendet, den man ansprechen will, wenn man einigermaßen bekannt mit demjenigen ist. Steht es am Satzanfang wie oben, möchte man mit "Che" gleichzeitig Aufmerksamkeit erwecken ("Hey, Du, äh"), wie auch eine gewisse freundschaftliche Verbindung herstellen. Seinen Chef spricht man so nicht an, denn es kann je nach Verwendung auch mit "Kumpel" oder "Alter" übersetzt werden. Ans Satzende gestellt ("Que hacés, che??"), wird es als nachdrückliche Betonung verwendet und könnte übersetzt werden mit "Was machst du da, he??". Es wird als Ansprache auch gern Namen vorangestellt: "Che Oliver, ...".
Als hautpsächlich argentinische Besonderheit wurde das "Che" auch als Spitzname für den argentinischen Arzt und späteren marxistischen Revolutionsführer Kubas Ernesto "Che" Guevara de la Serna benutzt, weil er die Leute oft mit Che ansprach und für kubanische Ohren komisch sprach, was die Kubaner anfangs nicht kannten und ihm so diesen Spitznamen verpassten. Seitdem ist er weltweit als Che oder El Che bekannt.
Als ich mich an dieses geflügelte Wort gewöhnt hatte, fing ich an mich zu trauen, es als Ansprache von argentinischen Kollegen zu benutzen, was erstmals in Gelächter endete, weil es unglaublich komisch und wahrscheinlich sehr albern klingt, wenn ein "Auswärtiger" solche ur-argentinischen Begriffe verwendet. Gleichzeitig wurde ich dann aber auch als "halber Argentinier" gelobt, was ich nach einem halben Jahr Aufenthalt durchaus mit einem gewissen Stolz und als Akzeptanz der Argentinier sehe. Andererseits macht es einfach auch unheimlich viel Spaß, Che zu sagen!
  • querés
 In Spanien wird die spanische Sprache eher "Español" genannt, in Argentinien eher "Castellano", beides sind aber zu 100% Synonyme. Diejenigen von euch, die einmal Español gelernt haben, wie es in Spanien gesprochen wird, werden verwirrt sein, handelt es sich hier doch eigentlich um die 2. Person singular von "mögen = querer". In Español wäre dies "tu quieres". In Argentinien (und einigen anderen Regionen Latein-Amerikas) gibt es eine grammatikalische Besonderheit: Den Voseo: "vos querés". Kurz erklärt, handelt es sich dabei eigentlich "nur" darum, dass die Du-Form der Verben anders gebildet wird, so wie auch das DU anders übersetzt wird. In Spanien ist es "Tú", in Argentinien ist es "Vos". Die Regel für regelmäßige Verben für den Voseo lautet ziemlich einfach:

Infinitiv     -     Präsenz, 2. Person singular
  • Hablar     -     vos hablás
  • Comer     -     vos comés
  • Vivir        -     vos vivís
Die Betonung liegt dabei immer auf der Silbe mit Akzent. So, soll nochmal jemand behaupten, ich biete hier nichts lehrreiches!
  • (un) Mate
Mate habe ich in dem einen oder anderen Artikel schonmal erwähnt, im Internet gibt es seitenlange Erklärungen dazu, im Handel ganze Bücher über Herkunft, Geschichte und Zubereitung. Ich werde es nochmal ganz kurz erklären, das letzte Mal, versprochen!
In Deutschland kennt man zumindest den Mate-Tee, dem eine besonders belebende Wirkung zugesprochen wird. Mate ist ein Aufgussgetränk, das in Südamerika schon vor der Kolonialisierung getrunken wurde. In Argentinien ist Mate allgegenwärtig, zu jeder Tageszeit. Es wird aus den zerkleinerten Blättern des Mate-Strauches hergestellt, mit heißem (nicht kochendem!) Wasser aufgegossen und durch eine Art metallischem Strohhalm mit eingebautem Filter ("Bombilla") getrunken. Als Gefäß diente ursprünglich ein kleiner ausgehöhlter Kürbis, mittlerweile wird Mate auch oft aus Holz- oder Metallgefäßen getrunken.
Viel wichtiger ist aber, den sozialen Aspekt des Mate trinkens zu erläutern:
Man trinkt Mate zum (oder als) Frühstück zuhause, auf dem Weg zur Arbeit, auf der Arbeit, mit Freunden, mit Kollegen und mit Verwandten. Die Argentinier haben so ziemlich immer alles Nötige für Mate dabei: Das Gefäß (den Mate), das "Kraut" (das Yerba), die Bombilla, eine Thermoskanne mit heißem Wasser und bei Bedarf Zucker. Sie trinken Mate auch gern beim Auto fahren, meistens (nicht immer!) bereitet der Beifahrer den Mate zu. In eine Gruppe mehrerer Leute wird das Mate trinken regelrecht zelebriert und es gibt sogar richtige "Regeln". Das geringe Fassungsvermögen des Mate sorgt dafür, dass man eigentlich immer nur einen bis zwei Schlucke schlürfen kann, bis das Wasser nachgegossen werden muss. Der, der den Mate zubereitet (El Cebador), trinkt den ersten Mate immer selbst, weil der erste Aufguss recht bitter ist und somit unzumutbar für die anderen - selten sind Argentinier so höflich! Dann wird wieder aufgegossen, immer auf die gleiche Stelle. Dann wird der Mate dem Nächsten gereicht, dabei ist es wichtig, dass die Bombilla auf den Empfänger zeigt. Zum Auffüllen wird der Mate immer an den Cebador zurückgegeben. Vertut man sich bei der Rückgabe und gibt ihn jemand anderem, wird das mit Kommentaren "bestraft". Alle trinken aus der selben Bombilla. Es gilt als sehr unhöflich, die Bombilla abzuwischen.
Wenn man als Ausländer in Argentinien sagt, dass man gern Mate trinkt, hat man die halbe internationale Freundschaft bereits gewonnen, so gern trinkt der Argentinier seinen Mate, nicht ohne einen gewissen Stolz.
  • Boludo
 So, jetzt wird es kompliziert, denn Boludo kann vieles bedeuten, je nach sozialem Umfeld, Zusammenhang und Betonung - und das kann ganz derb daneben gehen! Deswegen werd ich für die Erklärung Beispielsätze verwenden:



  • "Que boludo!"     -     "Was für ein Idiot!"
In diesem Zusammenhang genannt, weiß ich gar nicht mehr, wie ich es vor meinem Leben in Argentinien eigentlich ohne dieses Wort geschafft habe, zu fluchen. Von mir wird es hauptsächlich auf der Arbeit oder beim Auto fahren verwendet, also über andere sprechend oder denkend.
  • "Boludo!!"     -     "Idiot! / Trottel! / A***loch!"
Als Ausruf  verwendet, ist es quasi immer ein Schimpfwort, dabei noch ein relativ sanftes. Der Argentinier kennt eine astronomische Menge an Schimpfwörtern, nie ohne noch eine weitere Steigerungsmöglichkeit auf Lager zu haben. Ich denke, wenn ich hier weitere Beispiele bringen würde, wäre der Blog innerhalb von wenigen Stunden gesperrt oder hätte einen "Explicit Lyrics!"-Aufdruck, deswegen sehe ich an dieser Stelle davon wissentlich ab. 
  • "Boludo, xxx, boludo."     -    ...
Im Plausch unter Freunden wird Boludo oft sogar mehrmals in einem Satz verwendet, oft am Anfang und am Ende, dann allerdings ohne unfreundlichen Hintergrund. Es heißt dann eher soviel wie "Alter" oder "Kumpel", also fast ähnlich dem Che. Diese Art zu sprechen ist aber mit Vorsicht zu genießen und sehr vom Umfeld abhängig. Von den Älteren wird es eher als vulgär empfunden. Da ist sie also schon wieder dahin, die argentinische Höflichkeit. Trotzdem, wenn man diese Gratwanderung beherrscht, ist man quasi eingebürgert.

Hey, möchtest du einen Mate, Alter?


Man sieht also, Spanisch ist nicht gleich Spanisch, und die Verwechslung  kann durchaus gefährlich oder witzig enden, zumal die Wörter in anderen spanisch sprechenden Regionen nicht nur keinen, sondern auch einen ganz anderen Sinn haben könnten. 
Der Rock als Kleidungsstück heißt in Spanien "falda", in Argentinien "pollera". Ein Spanier würde sich aber unter Pollera eher eine Hühnerverkäuferin vorstellen. Man male sich die möglichen Konsequenzen aus, wenn er zu ihr sagt: "Was für ein schöner Rock!". Hier eine kleine Wiki-Liste mit anderen Beispielen: Klick!
Das Verb Coger ist in Spanien ein Universalverb, man kann damit Äpfel pflücken, einen Ball auffangen, etwas aufheben oder sich ein Taxi teilen. In Argentinien ist es aber DAS F-Wort, dass sich auf zwicken reimt... An dieser Stelle lasse ich eurer Fantasie freien Lauf, ich wette über die Missverständnisse in Zusammenhang mit diesem Verb könnte man sehr lustige Bücher füllen!
Ich gebe zu, diese Story war vielleicht weniger lustig, als andere, aber ich sehe auch einen gewissen Bildungsauftrag in meiner Aufgabe. Außerdem erwarte ich von jedem, der mich besuchen kommt, bei Ankunft einen gewissen Grundwortschatz. Ach und falls ihr gerade auf dem Weg seid, tut mir den Gefallen und fragt am Flughafen hier einen beliebigen Mitwartenden, ob ihr euch nicht ein Taxi teilen wollt und erzählt mir dann, was danach passiert ist... Ich brauche Stoff für neue Geschichten!

Montag, 5. Juli 2010

Das 4:0 in Buenos Aires

Kennen Sie das auch? Sie gehen zu einem Vuvuzela-Konzert, und plötzlich fangen ein paar Banausen an Fußball zu spielen?? Ich habe oft gedacht, ich hätte einen Bienenschwarm im Fernseher...


Zuersteinmal: Ich lebe! Ich wurde weder gesteinigt, noch auf offener Straße verbal angegriffen... jedenfalls bis jetzt. Es ist Sonntag, der 4. Juli 2010. Tag 1 nach dem grandiosen 4:0 Sieg der Deutschen Elf über die Argentinische Selección. Tag 1 nach der vernichtenden Niederlage einer stolzen Mannschaft und ihres Trainers, des einstigen Fußball-Weltstars Diego Armando Maradona. Aber ich bin zu schnell, kurz mal ein paar Wochen zurückrudern...:

Sätze wie "Euch werden wir schön...!", gefolgt von eindeutigen, international verständlichen Gesten beherrschten in den letzten Wochen das Leben und Arbeiten zwischen den Deutschen und den Argentiniern, in deutsch wie in spanisch. Säbelrasseln der stolzesten Fußballnation Südamerikas kurz vor der WM 2010. Nochmal kurz zur Situation: Ich arbeite in einem Team von ehemals 6, jetzt noch 4 Deutschen zwischen mittlerweile rund 150 Argentiniern. In der Gruppenphase hatte Argentinien alle drei Spiele für sich entschieden, Maradona war im Aufwind. Deutschland musste etwas mehr kämpfen und bangte sogar kurz um den Einzug ins Achtelfinale. All das führte zu der eh schon erweitert stolzen Sicherheit der Argentinier, dass der Schale eigentlich nichts mehr im Weg steht, schon gar nicht Deutschland.
Für die Argentinienspiele wurde bei uns die Arbeit unterbrochen und alle Mitarbeiter konnten das Match im Aufenthaltsraum per Beamer verfolgen. Nach den Toren wurde da schonmal gehüpft und gegen Deutschland gesungen, aber immer mit einem Lächeln ("El quién no salta, es Aleman!" = Wer nicht springt, ist Deutscher!"). Als ich dabei dann mal sagte, dass mir kalt sei, und mir meine große Deutschlandfahne aus der Hosentasche zog, um mich ein bisschen darin zu "wärmen", erntete ich laute "Buuh"-Rufe. Ich provoziere halt gerne... Hier ein Video eines Tors von Argentinien, damit man sich das mal vorstellen kann:


Übrigens, wer sich das Video direkt auf Youtube ansieht, kann durch einen Klick auf den kleinen Fußball unten in der Fortschrittsleiste auch den vermissten Vuvuzela-Sound einschalten. Glaubt ihr nicht? Dann probiert es hier mal aus! Musikvideos von z.B. Britney Spears kann man im Klang dadurch erheblich verbessern...!
Die Deutschlandspiele haben wir auch dort gesehen, in kleiner Runde. Nach den jeweiligen Siegen wurde sich gegenüber aufrichtig gratuliert. Da sind sie dann doch faire Sportsmänner. Doch eines Tages stand fest, dass Deutschland auf Argentinien im Viertelfinale treffen würde... Meine argentinischen Bürokollegen haben mir vorab erklärt, dass wir nicht viel darüber reden werden untereinander, denn die Argentinier seien sehr emotional was Fußball betrifft. Naja, wie man sich vorstellen kann, war das Nicht-Reden unmöglich... Und so ziemlich alle Kollegen wollten mit mir wetten, um Wein, um Trikots, um meine Puma-Sicherheitsschuhe... aber ich habe immer gesagt, dass ich dann ja mit allen wetten müsste, und dass ich hinterher ja nichts mehr zum Anziehen hätte... *zwinker zwinker* Am Freitag habe ich dann schließlich doch noch bei einem eingeschlagen, der unbedingt seinen Wein loswerden wollte.

Samstag, 3. Juli 2010, ca. 9:30:
Mein mitbewohnender Kollege und ich machen uns auf in die Innenstadt. Über Facebook hatte ich einen Deutschen kennen gelernt, der Fußballfeiern veranstaltet. Was aussieht, als wenn es sich in einer urdeutschen Kneipe abspielt, ist in Wirklichkeit in einem Irish Pub in Palermo Soho, dem Party-Stadtteil von Buenos Aires.

Und unter Gleichgesinnten guckt es sich einfach nochmal so schön, wie zu zweit zuhause vor dem Fernseher. Der Irish Pub war national unterteilt: Im Erdgeschoss guckten die Argentinier, im 1. OG die Deutschen. Ich fragte mich beim raufgehen schon, ob das so eine gute Idee gewesen sei, hatten mich doch mehrere Kollegen davor gewarnt, in der City zu gucken, was mitunter mit einem Sicherheitsrisiko verbunden sei. Deswegen habe ich mein Deutschlandtrikot auch unter einer argentinischen Fußball-Trainingsjacke getarnt... Harhar, das trojanische Pferd! Aber im oberen Geschoss wären wir dann ja quasi eingekesselt... naja, so schlimm war es dann nun doch alles nicht. Die Feier war super, über das Spiel brauche ich hier wohl keine Worte verlieren. Rund 50 Deutsche haben es ordentlich krachen lassen! Ein paar von ihnen haben es sich dann auch nicht nehmen lassen, den Triumph draußen auf der Kreuzung laut kund zu tun und wurden dann, wie ich später erfuhr, mit rohen Eiern beworfen... Wer nicht hören will, muss fühlen, hatte doch der Veranstalter 5 Minuten vor Spielende nochmal die Deutschen Fans um Sensibilität und gebührenden Respekt gegenüber unserem Gastgeberland gebeten. Getarnt mit meiner argentinischen Jacke und gespielter Tristesse haben wir dann auf dem Weg zurück zum Auto den frisch ausgeschiedenen Argentiniern den Schock angesehen. Diese Niederlage gilt es nun erst einmal zu verkraften. Und wieder einmal gegen Deutschland. Einige Kollegen haben mir aber direkt nach dem Sieg SMS-Glückwünsche geschickt oder sogar angerufen.
Vor dem Spiel war mir klar: Eigentlich konnten wir hier als Deutsche nur verlieren. Sollte Argentinien gewinnen, würden wir wochen- oder monatelang dem Spott ausgesetzt sein, sollte Deutschland gewinnen, würden wir auf der Arbeit ersteinmal nichts mehr zu lachen haben. Umso mehr habe ich mich über die Glückwünsche gerade derer gefreut, die mir vorher die lebenslängliche Feindschaft geschworen haben, sollten wir sie aus der WM werfen.
Auf dem Weg nach Hause mussten wir wohl oder übel noch auf der Arbeit anhalten, um etwas zu erledigen. Die Blicke waren vielfältig, zwischen "Ich werde dich zerteilen, den Hunden zu fressen geben und diese dann mit der Dampfwalze überfahren" und aufrichtigem, gratulierendem Händeschütteln. Aber der Montag kommt ja erst noch...
Ich habe mir vorgenommen, nichts zu sagen. Wenn ich nicht drauf angesprochen werde, werde ich nur lächeln. Das ist einerseits respektvoll und sensibel, und andererseits tut es ihnen noch mehr weh... hehe. Ein bisschen Schadenfreude darf uns nach dem vorigen stolzen Getöne ruhig gegönnt sein. :-)

Das Finale werde ich jedenfalls bei einem guten 2007er Cabernet Sauvignon mit nummeriertem Etikett genießen. Und ich habe gehört, dass das Public Viewing in Deutschland auch super gewesen sein soll, bei fast 40°C?! Mein Tipp: Deutschland - Holland 2:1! Vamos Alemaniaaaaaa!!

Gimme Hope, Joachim!!