Montag, 5. Juli 2010

Das 4:0 in Buenos Aires

Kennen Sie das auch? Sie gehen zu einem Vuvuzela-Konzert, und plötzlich fangen ein paar Banausen an Fußball zu spielen?? Ich habe oft gedacht, ich hätte einen Bienenschwarm im Fernseher...


Zuersteinmal: Ich lebe! Ich wurde weder gesteinigt, noch auf offener Straße verbal angegriffen... jedenfalls bis jetzt. Es ist Sonntag, der 4. Juli 2010. Tag 1 nach dem grandiosen 4:0 Sieg der Deutschen Elf über die Argentinische Selección. Tag 1 nach der vernichtenden Niederlage einer stolzen Mannschaft und ihres Trainers, des einstigen Fußball-Weltstars Diego Armando Maradona. Aber ich bin zu schnell, kurz mal ein paar Wochen zurückrudern...:

Sätze wie "Euch werden wir schön...!", gefolgt von eindeutigen, international verständlichen Gesten beherrschten in den letzten Wochen das Leben und Arbeiten zwischen den Deutschen und den Argentiniern, in deutsch wie in spanisch. Säbelrasseln der stolzesten Fußballnation Südamerikas kurz vor der WM 2010. Nochmal kurz zur Situation: Ich arbeite in einem Team von ehemals 6, jetzt noch 4 Deutschen zwischen mittlerweile rund 150 Argentiniern. In der Gruppenphase hatte Argentinien alle drei Spiele für sich entschieden, Maradona war im Aufwind. Deutschland musste etwas mehr kämpfen und bangte sogar kurz um den Einzug ins Achtelfinale. All das führte zu der eh schon erweitert stolzen Sicherheit der Argentinier, dass der Schale eigentlich nichts mehr im Weg steht, schon gar nicht Deutschland.
Für die Argentinienspiele wurde bei uns die Arbeit unterbrochen und alle Mitarbeiter konnten das Match im Aufenthaltsraum per Beamer verfolgen. Nach den Toren wurde da schonmal gehüpft und gegen Deutschland gesungen, aber immer mit einem Lächeln ("El quién no salta, es Aleman!" = Wer nicht springt, ist Deutscher!"). Als ich dabei dann mal sagte, dass mir kalt sei, und mir meine große Deutschlandfahne aus der Hosentasche zog, um mich ein bisschen darin zu "wärmen", erntete ich laute "Buuh"-Rufe. Ich provoziere halt gerne... Hier ein Video eines Tors von Argentinien, damit man sich das mal vorstellen kann:


Übrigens, wer sich das Video direkt auf Youtube ansieht, kann durch einen Klick auf den kleinen Fußball unten in der Fortschrittsleiste auch den vermissten Vuvuzela-Sound einschalten. Glaubt ihr nicht? Dann probiert es hier mal aus! Musikvideos von z.B. Britney Spears kann man im Klang dadurch erheblich verbessern...!
Die Deutschlandspiele haben wir auch dort gesehen, in kleiner Runde. Nach den jeweiligen Siegen wurde sich gegenüber aufrichtig gratuliert. Da sind sie dann doch faire Sportsmänner. Doch eines Tages stand fest, dass Deutschland auf Argentinien im Viertelfinale treffen würde... Meine argentinischen Bürokollegen haben mir vorab erklärt, dass wir nicht viel darüber reden werden untereinander, denn die Argentinier seien sehr emotional was Fußball betrifft. Naja, wie man sich vorstellen kann, war das Nicht-Reden unmöglich... Und so ziemlich alle Kollegen wollten mit mir wetten, um Wein, um Trikots, um meine Puma-Sicherheitsschuhe... aber ich habe immer gesagt, dass ich dann ja mit allen wetten müsste, und dass ich hinterher ja nichts mehr zum Anziehen hätte... *zwinker zwinker* Am Freitag habe ich dann schließlich doch noch bei einem eingeschlagen, der unbedingt seinen Wein loswerden wollte.

Samstag, 3. Juli 2010, ca. 9:30:
Mein mitbewohnender Kollege und ich machen uns auf in die Innenstadt. Über Facebook hatte ich einen Deutschen kennen gelernt, der Fußballfeiern veranstaltet. Was aussieht, als wenn es sich in einer urdeutschen Kneipe abspielt, ist in Wirklichkeit in einem Irish Pub in Palermo Soho, dem Party-Stadtteil von Buenos Aires.

Und unter Gleichgesinnten guckt es sich einfach nochmal so schön, wie zu zweit zuhause vor dem Fernseher. Der Irish Pub war national unterteilt: Im Erdgeschoss guckten die Argentinier, im 1. OG die Deutschen. Ich fragte mich beim raufgehen schon, ob das so eine gute Idee gewesen sei, hatten mich doch mehrere Kollegen davor gewarnt, in der City zu gucken, was mitunter mit einem Sicherheitsrisiko verbunden sei. Deswegen habe ich mein Deutschlandtrikot auch unter einer argentinischen Fußball-Trainingsjacke getarnt... Harhar, das trojanische Pferd! Aber im oberen Geschoss wären wir dann ja quasi eingekesselt... naja, so schlimm war es dann nun doch alles nicht. Die Feier war super, über das Spiel brauche ich hier wohl keine Worte verlieren. Rund 50 Deutsche haben es ordentlich krachen lassen! Ein paar von ihnen haben es sich dann auch nicht nehmen lassen, den Triumph draußen auf der Kreuzung laut kund zu tun und wurden dann, wie ich später erfuhr, mit rohen Eiern beworfen... Wer nicht hören will, muss fühlen, hatte doch der Veranstalter 5 Minuten vor Spielende nochmal die Deutschen Fans um Sensibilität und gebührenden Respekt gegenüber unserem Gastgeberland gebeten. Getarnt mit meiner argentinischen Jacke und gespielter Tristesse haben wir dann auf dem Weg zurück zum Auto den frisch ausgeschiedenen Argentiniern den Schock angesehen. Diese Niederlage gilt es nun erst einmal zu verkraften. Und wieder einmal gegen Deutschland. Einige Kollegen haben mir aber direkt nach dem Sieg SMS-Glückwünsche geschickt oder sogar angerufen.
Vor dem Spiel war mir klar: Eigentlich konnten wir hier als Deutsche nur verlieren. Sollte Argentinien gewinnen, würden wir wochen- oder monatelang dem Spott ausgesetzt sein, sollte Deutschland gewinnen, würden wir auf der Arbeit ersteinmal nichts mehr zu lachen haben. Umso mehr habe ich mich über die Glückwünsche gerade derer gefreut, die mir vorher die lebenslängliche Feindschaft geschworen haben, sollten wir sie aus der WM werfen.
Auf dem Weg nach Hause mussten wir wohl oder übel noch auf der Arbeit anhalten, um etwas zu erledigen. Die Blicke waren vielfältig, zwischen "Ich werde dich zerteilen, den Hunden zu fressen geben und diese dann mit der Dampfwalze überfahren" und aufrichtigem, gratulierendem Händeschütteln. Aber der Montag kommt ja erst noch...
Ich habe mir vorgenommen, nichts zu sagen. Wenn ich nicht drauf angesprochen werde, werde ich nur lächeln. Das ist einerseits respektvoll und sensibel, und andererseits tut es ihnen noch mehr weh... hehe. Ein bisschen Schadenfreude darf uns nach dem vorigen stolzen Getöne ruhig gegönnt sein. :-)

Das Finale werde ich jedenfalls bei einem guten 2007er Cabernet Sauvignon mit nummeriertem Etikett genießen. Und ich habe gehört, dass das Public Viewing in Deutschland auch super gewesen sein soll, bei fast 40°C?! Mein Tipp: Deutschland - Holland 2:1! Vamos Alemaniaaaaaa!!

Gimme Hope, Joachim!!

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